Am siebten September 2016, bin ich mit meinen Mitfreiwilligen in Córdoba gelandet. Es ist Halbzeit! Sechs Monate meines Freiwilligendienstes sind schon um und die Zeit verging rasend schnell.
Zu Beginn, war alles sehr neu, aufregend und interessant. Mein Spanisch ist viel besser geworden und die Arbeit ist mittlerweile Routine.
Das Urlaubsgefühl, das ich in meinem zweiten Blogeintrag beschrieben habe, ist schon lange verschwunden. Ich wohne und lebe hier mit all den Hochs und Tiefs, die das Leben so bringt.

Wie geht es mir denn?
Mir geht es gut! Ich habe Glück mit meinem Projekt, denn die Mitarbeiter und Kinder sind toll und die Arbeit ist nicht zu viel und nicht zu wenig.
Vor kurzem bin ich mit meinen Mitfreiwilligen umgezogen, in ein eigenes kleines Häuschen. Die letzten sechs Monate lebten wir im Kinderheim in zwei Zimmern. Das hat es für mich schwer gemacht, nach der Arbeit etwas Abstand zu nehmen oder mal zur Ruhe zu kommen. Aber für die Anfangszeit, war es eigentlich ganz gut. Da wir rund um die Uhr im Heim waren und zu den Mahlzeiten dazu gekommen sind, haben wir uns schnell eingelebt, die Kinder besser kennengelernt und uns mit den Mitarbeitern angefreundet. Für das Kinderheim, konnten wir so auch schnelle Hilfe bieten, wenn z.B. spät Abends einer der Mitarbeiter mit Kistenweise Einkäufen und Spenden aus Córdoba zurück kam und Hilfe beim Ausräumen benötigte.
Doch nach vier Monaten bekam mich schon langsam das Gefühl, dass es jetzt reicht. Wenn ich Abstand vom Heim wollte, musste ich raus gehen, wandern oder zum Fluss, doch bei Regen oder wenn es sehr heiß war, konnte ich mich dazu nicht wirklich motivieren. In das Zimmer von Doreen und mir hat es reingeregnet, bei Hitze war es dort wie in einer Sauna (im Sommer waren es jeden Tag über 30°C) und die Kinder waren nie weit von uns und unserem Rückzugsort entfernt. In den letzten Monaten, hat das ein wenig meine Laune getrübt, obwohl ich versucht habe, mich davon nicht beeinflussen zu lassen.

Im Januar waren wir beim Zwischenseminar in Chile und als wir zurück kamen, waren es nur noch eineinhalb Monate, bis wir umziehen würden. Anfang Februar fingen wir an, uns eine Wohnung zu suchen. Und wir haben unser kleines Häuschen gefunden, das nur fünf Minuten vom Heim entfernt liegt.
Nicht mehr die ganze Zeit im Heim zu sein, hat meine Laune sehr verändert. Ich komme von der Arbeit nach Hause und bin in einem neuen Umfeld, wo ich abschalten kann und mich mit anderen Dingen, wie z.B. Blog schreiben befassen kann, ohne abgelenkt zu werden.
Wenn ich auf die letzten sechs Monate zurück blicke, sehe ich viele Erlebnisse und Momente, die mich fasziniert, geschockt oder zum Lachen gebracht haben. Ich habe über mich und mein Leben in Deutschland nachgedacht, was ich später machen möchte und wie ich glücklich leben kann. Die Kinder im Heim, hatten alle einen schwierigen Start ins Leben und manche ihrer Geschichten lassen mich sehr nachdenklich werden, aber sie sitzen nicht den ganzen Tag rum und weinen, sondern leben den Moment und spielen und lachen und zeigen mir, dass auch, wenn es schrecklich scheint, es mir gut gehen kann.
Die Kinder haben Glück in das Kinderheim der Fundación Sierra Dorada gekommen zu sein, auch wenn sie es jetzt vielleicht nicht sehen und ihre Eltern und Geschwister vermissen, aber ich denke, sie werden es verstehen, wenn sie erwachsen sind. Sie leben zwar mit vielen Kindern zusammen und können nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen, die sie vielleicht zu Hause von ihren Eltern bekommen hätten, aber sie bekommen vier Mahlzeiten am Tag, ernähren sich gesund, haben ein Bett, genug Kleidung und können tun, was Kinder tun sollten – spielen und sich nicht über Probleme den Kopf zerbrechen.
Von den Kindern hier, kann ich also auch etwas lernen.
Vor kurzem war ein christlicher Musiker zu Besuch, der die Kinder durch seine Raptexte und gute Stimmung begeisterte. Er ist mit vielen Geschwistern und in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen. Er erzählte, dass es manchmal ziemlich schwierig war, er aber nicht aufgehört hat zu Träumen, z.B. Schlagzeug zu lernen ohne Geld für Unterricht oder ein echtes Schlagzeug. Heute ist er 39 Jahre alt, hat drei Kinder und ist in der christlichen Szene sehr bekannt. Doch er sagt zu den Kindern „Exito y fama son cosas diferentes!“ (Erfolg und Ruhm, sind unterschiedliche Dinge). Die Kinder haben ihr eigenes Leben in der Hand und sind in der Lage das Beste daraus zu machen und erfolgreich zu sein. Ich glaube, er konnte zu den Kindern durchdringen, was den Mitarbeitern im Heim nicht immer gelingt. Aber alle sind sich einig – er hat recht.
In solchen Momenten, bin ich so glücklich und so dankbar, dass ich die Freude der tanzenden Kinder miterleben darf! Sie sind mir alle schon sehr ans Herz gewachsen. Mit einigen ist es leichter, als mit anderen, aber allesamt sind wundervoll und ich will ihnen Raum für eine fröhliche Kindheit geben.

Wie ist Argentinien?
Ich hatte schon Zeit, mir ein wenig das Land anzuschauen. Wir waren mit den Kindern am Meer, danach war ich in Uruguay und habe Mimi besucht, ich habe das argentinische Weihnachtsfest und Silvester kennengelernt und war in Chile. Vor einigen Tagen, bin ich aus dem Urlaub aus Patagonien zurückgekehrt und habe wunderschöne Landschaft, Kilometerweise nichts und die majestätische Erscheinung des Gletschers Perito Moreno betrachtet. Argentinien bietet alle Klimata, von tropischer Hitze im Norden an der Grenze zu Brasilien, Paraguay und Bolivien, bis antarktische Kälte im Süden in Ushuaia, am „Ende der Welt“, der südlich gelegensten Kleinstadt der Welt. Argentinien bietet so viel zum Sehen, ich kann gar nicht alles in einem Jahr bereisen. Mein Mitfreiwilliger, Noah, hat in seinem Blog einen Argentinien Fakten-Checker erstellt, der für Euch vielleicht auch interessant wäre.
Natürlich lerne ich aber auch die Menschen hier und die argentinische Kultur kennen. Schon beim ersten Aufeinandertreffen, sind Argentinier herzlich und sehr freundlich. Ich habe mich sehr willkommen gefühlt und auch, wenn ich jetzt noch Menschen kennenlerne, fühle ich mich einfach wohl. Hier begrüßt man sich, egal ob man sich kennt oder nicht, mit einem Kuss auf die rechte Wange. Die deutsche Distanz des Händeschüttelns, wird hier direkt durchbrochen und es gleicht an ein Wiedersehen, zwischen Freunden. Zum Begrüßen gehört dazu, dass man sich nach dem Empfinden, des anderen erkundigt. Ein „Cómo vas?“ (Wie geht’s dir?) oder „Todo bien?“ (Alles gut?), hört man sogar von Fremden auf der Straße, wenn man aneinander vorbei geht. Diese Freundlichkeit bildet eine entspannte und angenehme Atmosphäre, in der ich mich gerne aufhalte.
Für mich ist diese Art von Offenheit bei der Begrüßung viel mehr, als nur eine Begrüßung. So verhalte ich mich zu Freunden und Familie, aber hier begrüßt man sich so, selbst wenn man den Gegenüber nicht leiden kann. Mich lässt das dann im Unsicheren. Mag mich die Person wirklich? Muss ich fürchten, dass hinter meinem Rücken über mich gelästert wird? In Deutschland würde ich nicht so etwas nicht so viel denken, glaube ich. Ich habe das Gefühl dort wird mir zwar nicht gesagt, dass man mich nicht ausstehen kann, aber zumindest werde ich dann auch nicht mit einem breiten Lächeln und Küsschen begrüßt. Aber das stört mich auch nicht. Mir ist es lieber, von jemandem, der mich nicht mag, kurz angebunden oder gar nicht begrüßt zu werden, als gespielte Freude. Doch ich denke, so ist es bei uns nicht. Die Menschen, die wir jeden Tag sehen (z.B. die Mitarbeiter des Heims) mögen uns und wir sie.
Die Menschen auf dem Land unterscheiden sich sehr von denen, die in der Stadt leben. Ich lebe in San Marcos Sierras eher ländlicher und treffe hier auf eine andere Mentalität, als z.B. in Buenos Aires. Im Vergleich zu der Stadt, können hier die Wenigsten andere Sprachen sprechen. Für uns Freiwillige eigentlich ganz gut, da wir uns immer auf Spanisch verständigen müssen und Dinge umschreiben, wenn wir nicht wissen, wie das Wort dafür heißt. Viele auf dem Land, hatten bisher wenig bis keinen Kontakt mit anderen Kulturen und manche werden ihr Leben lang an einem Ort leben und nichts neues sehen. Dementsprechend wissen die Menschen auch weniger über andere Lebensstile.
In der Stadt hingegen, werden die Leute durch z.B. internationale Studenten mit anderen Kulturen konfrontiert. Wenn ich in der Stadt mit Doreen, meiner Mitfreiwilligen, die blond ist, in den Bus einsteige, werden wir nicht groß angestarrt und vielleicht schauen nur ein bis zwei Personen auf. Doch sobald wir Richtung Land kommen, werden das blasse und das blonde Mädchen mit Blicken durchlöchert. Wir sind etwas, was viele noch nie gesehen haben und wenn ich ehrlich bin, kann ich ihnen nicht verübeln, dass sie starren. Was würde ich tun? Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, schlimm wäre es für mich nur, wenn ich hier seit Jahren leben würde und mich die Leute immer noch für einen Touristen halten würden (auch mit Blick auf Sicherheit, in großen Städten werden Menschen, die europäisch aussehen, eher ausgeraubt (da habe ich Glück, dass ich nicht blond bin) ).
In einem meiner Blogeinträge, habe ich ein wenig die Mahlzeiten angesprochen. In Argentinien, ist die Ernährung etwas anders, als bei uns in Deutschland. Hier sind viele Gerichte sehr fettig, es wird auch gerne frittiert, dazu gibt es viel Fleisch. Das Asado (Grillen) ist sehr berühmt für Argentinien. Ich kann bis jetzt nur vom Kinderheim berichten, doch im Heim wird den Kindern auch viel Gemüse serviert. Die Lebensmittelpreise sind sehr hoch, vor allem Milchprodukte sind für uns ein kleiner Schock (ein Joghurt kostet hier doppelt so viel, als in Deutschland). Ich habe das Gefühl, hier wird nicht wirklich darauf geachtet, wo die Lebensmittel herkommen. Da z.B. das Fleisch sehr teuer ist, neigen die Menschen dazu das Billigste zu kaufen, was sie bekommen können. Ich glaube vielen Menschen hier, ist nicht bewusst, dass wir durch unsere Nahrung schädliche Stoffe aufnehmen können. Ich bin es von zu Hause gewöhnt, Fleisch mit höherer Qualität zu kaufen und dann etwas seltener Fleisch zu essen. Wir haben in den ersten Monaten mit einigen über das Thema gesprochen. Bei einem kam es nicht wirklich an, aber die andere Person erzählte uns, dass sie gar nicht so viel darüber wisse, ich glaube sie hat angefangen ein wenig darüber nachzudenken.
Im Kinderheim wird großen Wert auf ausgewogene Ernährung gelegt (auch wenn es nicht immer so scheint). Fleisch gibt es eher zu Anlässen und die Kinder essen viel Gemüse und zum Nachtisch oft Obst. Ihnen wird jedoch zwischendurch und zum Frühstück oft etwas Süßes gegeben, doch im Kinderheim ernähren sich die Kinder besser, als sie es vielleicht bei ihren Eltern getan hätten.
Ich fühle mich aber wohl in Argentinien, obwohl ich am Anfang lieber in ein anderes Land gegangen wäre. Mir wurde oft erzählt, wie europäisch doch Argentinien sei und ich dachte, ich habe in einem anderen Land bessere Erfahrungen. Hier kommt es mir nicht wie in Europa vor, hier ist es sehr anders. Ein Besuch in Buenos Aires steht jedoch immer noch auf meiner Liste, erst dann kann ich wirklich meine eigenen Erfahrungen vergleichen. Doch so oder so, Argentinien wirkt vielleicht in manchen Dingen europäisch, doch ist ein Land, das nichts mit Europa zu tun und eine Menge zu bieten hat!
Mein Mitfreiwilliger hat mir am Anfang des Jahres ein Video über die Landschaft um San Marcos Sierras gezeigt, das er sich angesehen hat, bevor unser Freiwilligendienst begonnen hat und es spiegelt die Schönheit der Natur recht gut wider.
Was kommt in den nächsten Monaten?
Ich habe noch circa fünf einhalb Monate hier in Argentinien. In meinem Kopf denke ich schon, „Ich will noch nicht gehen!“. Denn so fühle ich mich gerade. Ich vergesse aber, dass ich ja auch noch gar nicht gehen muss. Fünf einhalb Monate ist eine lange Zeit! Vor einigen Tagen hat der Herbst begonnen und der Winter wird folgen. Wie sind denn so der Herbst und der Winter? Bis jetzt beschert uns der Herbst noch Tage mit Sonnenschein und 30°C – mal sehen, wann es kälter wird. Das Kinderheim zu sehen, wenn es kalt ist, ist sicher auch spannend. Zum Fluss werden wir dann sicher nicht mehr so oft gehen. Doch ich will die Landschaft auch erkunden, wenn sie etwas kahler aussehen sollte.
In der nächsten Zeit möchte ich außerdem noch herausfinden, was ich machen möchte, wenn ich zurück nach Deutschland komme. Was will ich studieren? Will ich überhaupt studieren oder mache ich vielleicht eine Ausbildung? Wo möchte ich hinziehen? Was will ich mit meinem Leben anfangen (nach Studium oder dergleichen)? Alles Fragen, denen ich mich langsam stellen muss und es ist unfassbar schwer. Was mag ich eigentlich???
Ich werde weiterhin im Heim arbeiten und mich mit den Kindern beschäftigen. Ende April geht es für mich mit zwei Freunden aus Deutschland (Felix und Marco), die mich besuchen kommen, zu den Iguazú-Fällen an der Grenze zu Brasilien, die zu Unesco Weltnaturerbe erklärt wurden. Und ich möchte noch mehr Orte besuchen!
In San Marcos, werde ich die wieder eingekehrte Ruhe (die Touristensaison ist vorbei) und die Natur genießen.
Im August werden wir ein zweites mal die Deutsche Botschaft in Buenos Aires besuchen. Doreen und ich haben dort Anfang März unsere Pässe mit den erneuerten Visa abgeholt.
Mal sehen, was im nächsten halben Jahr noch so auf mich zukommt. Werde ich mein Spanisch noch verbessern oder bin ich an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr weiter geht? Wird sich die Arbeit im Kinderheim etwas verändern? Wird unsere Wohngemeinschaft in unserem Häuschen funktionieren? Finde ich heraus, was ich wirklich mag und was ich in Deutschland machen will?
Ich bin gespannt…
Liebe Svenja,
weißt Du, was mich an Deinem Blogbeitrag besonders beeindruckt? Mehr als zuvor wendest Du Dich den wesentlichen Fragen des Lebens zu. Du stellst Dir Fragen, die Du in Deinem ersten Beitrag noch nicht im Sinn hattest. Du siehst hinter Kulissen, auch wenn etwa überschwängliche Freundlichkeit zunächst fasziniert. Du bewertest Deine Beobachtungen und Erfahrungen nicht überwiegend aus Deinem Ego, Du sprichst auch darüber wie die von Euch betreuten Kinder empfinden.
Ich glaube, Svenja, Du erlebst gerade eine Zeit, die Dich für Dein künftiges Leben sehr, sehr prägen wird. Und an die Du Dich zeitlebens gern erinnern wirst.
Dass Du auch noch die Iguazú-Wasserfälle besuchen willst, freut mich natürlich. Als wenn ich’s geahnt hätte, weißt Du noch? Die Karte von Sonny und mir zu Deinem 18. Geburtstag trug ein Bild der Fälle, und in der Bildzeile stand:
„Hallo Svenja, falls Du einmal nach Südamerika kommst, solltest Du Dir die Iguazú-Wasserfälle ansehen. Du kannst sie von zwei Seiten aus bewundern: von Brasilien und von Argentinien.“
Nun denn, ich wünsche Dir für die nächsten fünfeinhalb Monat weitere gute Eindrücke. Und: pass‘ auf Dich auf, Sonny und ich wollen Dich ungetrübt wiedersehen.
Dein Opa